1997 erschien in dem Hallenser Magazin "Solar X" diese Geschichte zu einem Thema, welches mich damals aus eigener Erfahrung sehr bewegte...

Arbeitsamt


 

Als Frank Zobel am Dienstag die Nachricht auf seinem Terminal las, dachte er zuerst an einen bösen Scherz. Aber damit scherzte man nicht.

Er war arbeitslos.

Für einen Moment war er still. Gerade jetzt, wo sie sich endlich entschlossen hatten, eine Familie zu gründen. Ihm schauderte. Oft genug hatten ihm frühere Bekannte erzählt, wie es im Amt für Arbeit war, mit langen Warteschlangen und unfreundlichen Beamten. Nun hatte er das alles auch vor sich.

Er beschloß, seiner Frau noch nichts davon zu sagen. Morgen würde er sich erst einmal dort vorstellen und dann konnten sie weiter sehen.

 

Als er am nächsten Tag vor dem großen Glasbau stand, war ihm etwas beklommen zu Mute. Doch dann, als er durch die Drehtür ging, verstand er seine Bedenken nicht mehr.

Die Eingangshalle erinnerte an einen Saal. Kaum jemand verlor sich in ihrer Weite. Dicker Teppich bedeckte den Boden und rund um einen kleinen Springbrunnen standen tropische Pflanzen. Weiter hinten war der Empfang. Eine nette junge Dame fragte nach seinem Begehr.

Zobel schluckte. Das alles wirkte nicht wie ein Amt, eher wie ein Hotel der gehobenen Preisklasse.

Dann mußte er mit dem Fahrstuhl in die vierte Etage fahren. Er zögerte ein wenig, den dicken Teppich mit seinen schmutzigen Schuhen zu betreten, bevor er die Kabine verließ. Auch hier war es menschenleer. Verwaist waren die längs an der Wand stehenden Bänke. Seine Schritte klangen gedämpft, als er hastig zu dem Zimmer ging, welches ihm genannt worden war.

Er klopfte und trat nach einer kurzen Pause ein.

Ein blondgelocktes Wesen bat ihn an ihren Tisch. Frischer Kaffeeduft stieg in seine Nase.

„Guten Tag. Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee?“

„Oh ja, wenn das geht.“

„Natürlich.“

Der Kaffee wurde gebracht.

„Ungewohnt? - Nun, auch wir wissen, daß sich viele Probleme in einer entspannten Atmosphäre viel besser besprechen lassen...“

„Ich...“

Frank Zobel wußte auf einmal nicht mehr, wie er anfangen sollte.

„Sie brauchen unsere Unterstützung, Herr...“

„Zobel, Frank Zobel.“

Die Dame tippte einige Worte in die Tastatur ihres Computers.

„Kann ich Ihren Ausweis bekommen?“

Stumm legte er seine Identicard auf den Tisch. Sie schob sie in das Lesegerät und beobachtete den Bildschirm, während die Daten eingelesen wurden.

„Oh, Sie sind verheiratet.“

„Ja. Und demnächst werde ich auch Vater.“

„Gratuliere. Sie haben Mut. Mit sechsundfünfzig schon Kinder haben.“

Er nickte lächelnd. Für einen Augenblick hatte er das Bild seiner Frau vor Augen. Wie gut sie aussah, mit den wenigen silbergrauen Fäden im Haar über dem gerade gelifteten Gesicht. Und dann der kleine, langsam rundlich werdende Bauch.

„Sagen Sie mir bitte Ihren Arbeitgeber.“

„Sie meinen, wo ich bisher beschäftigt war?“

„Nein, ich möchte Ihren jetzigen Arbeitgeber wissen.“

„Wieso meinen jetzigen Arbeitgeber? Ich habe doch gar keinen. Ich bin hier, weil ich arbeitslos bin.“

Die Frau sah ihm erstaunt an.

„Sie haben keinen Arbeitgeber? Warum sind Sie dann hier?“

„Ich bin arbeitslos. Ich habe zweiunddreißig Jahre gearbeitet und Arbeitslosenversicherung bezahlt und nun möchte ich mich arbeitslos melden und Unterstützung beziehen.“

„Es tut mir leid, aber wenn Sie keinen Arbeitgeber haben, dann sind Sie hier falsch. Ich kann Ihnen nur Unterstützung gewähren, wenn Ihr Arbeitgeber Ihnen eine Beschäftigung nachweist.“

„Begreife ich nicht.“

„Es ist doch ganz einfach. Wir sind hier das Amt für Arbeit. Wir sind für die Leute zuständig, deren Problem mit ihrer Arbeit, beziehungsweise mit ihrem Arbeitgeber zusammenhängt.“

„Wie bitte?“

„Verstehen Sie doch, als die Arbeitslosenzahlen die 10 Millionen Grenze überschritten, hat der Bundesminister in der großen Arbeitsreform festgelegt, daß sich das Amt für Arbeit nur noch um seinen im Namen verankerten Auftrag zu kümmern habe. Nämlich um die Gestaltung von Arbeit.“

„Aber wenn ich Arbeit habe, dann brauche ich doch keine Unterstützung!“

„Doch, natürlich. Wenn zum Beispiel der Betrieb die Arbeitskräfte nicht mehr bezahlen kann, hat der Unternehmer jetzt die Möglichkeit, seinen Arbeitnehmern einen Arbeitsplatz leihweise zur Verfügung zu stellen, damit sie im Interesse und im Auftrag des Betriebes arbeiten können. Damit wird ihr Arbeitsplatz erhalten. Wir als Amt für Arbeit übernehmen dann die Kosten für Miete und Unterhalt und sorgen so für Arbeit. Das ist unsere Aufgabe. Wer dagegen keinen Arbeitgeber hat, dem können wir nicht helfen.“

„Das gibt's doch nicht.“

„Doch, so ist das gültiges Gesetz.“

„Sie wollen damit sagen, daß ich die ganze Zeit vergeblich Arbeitslosenversicherung gezahlt habe. Das ich jetzt nichts bekomme.“

„Wieso vergeblich? Allein im letzten Jahr konnten wir auf diese Art sechsunddreißig Arbeitsplätze erhalten.“

„Dafür bezahle ich über zwanzig Prozent Arbeitslosenversicherung! Für sechsunddreißig Arbeitsplätze!“

„Sie dürfen die Investitionen nicht vergessen. Allein im letzten Jahr kostete der Unterhalt dieses Hauses zwölf Millionen. Und diese Kosten steigen noch. - Oh, ist Ihnen schlecht?“

Zobel war auf seinem Platz zusammengesunken. Jetzt richtete er sich langsam wieder auf.

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Tja, schwer zu sagen. Sie müßten sich natürlich um einen Arbeitgeber kümmern. Das wird natürlich schwer, wenn Sie verheiratet und nicht flexibel genug sind... Aber warten Sie, es gibt seit vier Jahren eine Klage vor dem Verfassungsgericht. Wenn die entschieden wird, vielleicht habe ich dann eine Möglichkeit, etwas für Sie zu tun...“

  

Und tatsächlich. Schon ein Vierteljahr später erhielt Frank Zobel eine Mitteilung, daß er ins Amt für Arbeit kommen solle.

  

„Herr Zobel, ich habe eine gute Nachricht für Sie. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß unser Auftrag nicht nur die Arbeit, sondern auch Arbeitslose betrifft.

Wir haben deshalb beschlossen, auch hier zwei Arbeitsplätze pro Jahr zu schaffen. Natürlich werden Sie verstehen, daß wir bei der schwierigen Auswahl der geeigneten Bewerber ein besonderes faires Verfahren einsetzen müssen.“

„Und welches Verfahren ist das?“

Die Frau beugte sich über den Tisch und nahm einen Schein aus dem Drucker.

„Nehmen Sie den und gehen Sie bitte in Zimmer 184 zur Kasse. Dort bezahlen Sie 25.- DM Bearbeitungsgebühr und erhalten dann Ihr Arbeits-Los.“

   

© by G.-M. Rose